Fehlt der europäischen Demokratie zur Zeit ihre partizipative und damit zentrale Dimension, ist sie bezüglich ihres Souveräns genauso mangelhaft. In Europa leben 25 Millionen Menschen, die nicht die Nationalität eines der 27 Mitgliedstaaten und somit auch nicht die Unionsbürgerschaft besitzen. Ihnen werden fundamentale Rechte und Freiheiten in der EU vorenthalten, vor allem politische. Obwoh ➔
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Fehlt der europäischen Demokratie zur Zeit ihre partizipative und damit zentrale Dimension, ist sie bezüglich ihres Souveräns genauso mangelhaft. In Europa leben 25 Millionen Menschen, die nicht die Nationalität eines der 27 Mitgliedstaaten und somit auch nicht die Unionsbürgerschaft besitzen. Ihnen werden fundamentale Rechte und Freiheiten in der EU vorenthalten, vor allem politische. Obwohl sie vom EU-Parlament repräsentiert werden – die Anzahl der Sitze in der EU speist sich aus der Gesamtbevölkerung jedes EU-Staats und nicht aus dessen wahlberechtigtem Volk – haben sie weder das aktive noch passive Wahlrecht. Von den 99 deutschen EP-Abgeordneten repräsentieren zehn die nicht deutsche Bevölkerung, ohne von ihr gewählt werden zu können. Es gibt auch das umgekehrte Beispiel: Ungarn und Slowenien befinden sich zur Zeit in einem Wettlauf um die Produktion von Staatsangehörigen, und damit EU-Bürgerinnen und Bürgern, außerhalb ihres Territoriums. Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán hat Hunderttausenden, die ungarische Vorfahren nachweisen können, in den USA, Israel, Serbien, Australien etc., die Einbürgerung ermöglicht und damit gleichzeitig das Wahlrecht für das EU-Parlament verliehen. Das kann man den 25 Millionen Menschen in der EU, die direkt von den Entscheidungen des Parlamentes betroffen sind, nicht erklären. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, das veranschaulicht, wie diskriminierend sich die Definition der Unionsbürgerschaft über die nationalen Bürgerschaften auswirkt.
Will Europa mehr sein als nur ein Abklatsch seiner Nationalstaaten, muss es seinen eigenen Souverän definieren und zusammen mit diesem partizipative und inklusive Beteiligungsformen am politischen Prozess etablieren. Eine Unionsbürgerschaft, welcher der Wohnsitz neben den 27 Nationalitäten als gleichberechtigte Qualifizierung genügt, macht es möglich, die Gesamtheit der EU-Bevölkerung zum demokratischen Souverän zu erheben. Diesem Souverän sollte dann aber nicht eine europäische Identitätspille verabreicht werden: Die EU-Kommission gibt jährlich eine Milliarde Euro für „identitätsfördernde“ Programme aus, mit dem Ziel, eine europäische Demokratie aufzubauen. Der Glaube, eine auf einem diffusen kulturellen Erbe begründete europäische Identität sei unabdingbar für eine europäische Demokratie, basiert auf der Entstehungsgeschichte der nationalen Demokratien, die sich entlang von Ausgrenzungen gründeten. Ein schlichtes Copy and Paste von der nationalen auf die europäische Ebene wird jedoch nicht gelingen – auch, weil die Bürgerinnen und Bürger das nicht wollen. Viel besser kann der rechtliche Bürgerstatus, der auch aus der EU-Grundrechtscharta abzuleiten ist, als Grundlage für einen europäischen Souverän dienen. Denn nur dieser vermag es, die kulturelle, ethnische, nationale und religiöse Vielfalt in der Bevölkerung der EU gleichberechtigt in einem Souverän zu vereinen. Dieser rechtliche Bürgerstatus basiert auf humanistischen Errungenschaften, Werten und Überzeugungen.